15 Sekunden können Karrieren prägen: Talkshow-Schnipsel schaffen es in TikTok Feeds, Videos erreichen Zielgruppen über Instagram direkt. Gleichzeitig bleiben Leitmedien die Bühne für strategische Einordnungen und Persönlichkeit. Volker Siegert, seit 15 Jahren Medientrainer und seit kurzem durch den Bundesverband für Medientraining in Deutschland zertifiziert, navigiert Führungspersönlichkeiten durch genau diese Doppelwelt. Im Gespräch erklärt er, was CEOs von Tim Höttges und Bill Anderson lernen können, warum Teleprompter oft überschätzt werden und wieso Prägnanz, Haltung und Mut heute über Wirkung entscheiden.
HimmelsSchreiber: Du bist seit 15 Jahren als Medientrainer tätig. Wie hat sich die Medienlandschaft in dieser Zeit verändert und welche neuen Anforderungen ergeben sich daraus für dich und deine Arbeit mit Führungspersönlichkeiten?
Volker Siegert: Die Leitmedien – ob Online, TV oder Print – sind immer noch der Ort, an dem Strategien vermittelt und Krisen verhandelt werden. Dazu gekommen ist, dass sich auch Top-Manager auf Social Media bewegen müssen. Beide Medienwelten brauchen Haltung, Klarheit und Prägnanz. Aber Social Media verlangen eine noch stärkere Verkürzung der Botschaften und ein Auftreten, das zugleich locker und glaubwürdig sein muss. Und: Beide Medienwelten existieren nicht getrennt voneinander, sondern überschneiden sich – etwa wenn 15-Sekunden-Schnipsel aus Talkshows auf Social Media verbreitet werden.
Top-Manager wie Tim Höttges (Telekom) oder Bill Anderson (Bayer) machen es vor: Sie sprechen in kurzen Video-Statements direkt mit einer jungen Zielgruppe. Was lässt sich aus solchen Beispielen über erfolgreiche Kommunikation lernen?
Tim Höttges war auch schon in der alten Medienwelt ein sehr guter Kommunikator, weil er schwierige Themen leicht verständlich vermitteln kann und dabei sympathisch rüberkommt. Da fällt ihm der Umstieg selbst auf ein sehr junges Medium wie TikTok leichter. Und Bill Anderson verbindet klare, direkte und konkrete Sprache mit persönlich geprägtem Storytelling. Da hört man einfach gerne zu und so entsteht Vertrauen. Vor allem: Beide haben Mut, etwas auszuprobieren und die klassische CEO-Gravitas loszulassen.

Interessant: Podcasts haben sich in den letzten Jahren von einem Nischenmedium zu einem Massenphänomen entwickelt. Das auditive Medium erfreut sich immer größerer Beliebtheit, glaubt man dem Digital News Report 2025 des Reuters Institute und der aktuellen ARD/ZDF-Medienstudie 2025. Dabei handelt es sich um keine reine Audio-Erfahrung mehr: Immer mehr Podcasts werden zusätzlich als Video veröffentlicht und sind auf Plattformen wie YouTube verfügbar. Damit rückt auch die nonverbale Kommunikation wieder stärker in den Fokus.
Wenn Führungskräfte sich zum ersten Mal selbst auf Video sehen: Welche typischen Aha-Momente entstehen dabei und was lernen sie über ihre eigene Wirkung?
Das erste Gefühl ist oft ein gewisses Fremdeln: Man kennt sich selbst nur vom Spiegelbild und hört die eigene Stimme nur durch den Resonanzraum des eigenen Körpers, deswegen sind Bild und Klang im Video anders. Das zweite Learning ist die Kraft der Prägnanz: Man kann sich fast immer kürzer fassen, ohne dass etwas von der Botschaft verloren geht. Und drittens: Mut zur Emotion ist das beste Mittel gegen langweilige Statements und Interview-Antworten.
Gibt es wiederkehrende Fehler, die du in Auftritten von Führungspersonen immer wieder beobachtest – unabhängig davon, ob sie vor der Kamera oder im Podcast sprechen?Mangelnde Vorbereitung! Kläre vorab: Welche Themen behandelt das Medium, in welcher Sprachwelt bewegt es sich und wer sind die Nutzer:innen? Darauf muss ich mich als Interviewgast einstellen, in meinen Formulierungen und in meinem Storytelling. Im Interview selbst muss ich es schaffen, meine Botschaften zu vermitteln. Das ist nicht einfach, weil auch die Interviewer:innen ihre eigene Agenda haben. Die Kunst besteht darin, ein fairer Gesprächspartner zu sein, gleichzeitig eigene Akzente zu setzen und – das ist das Wichtigste – das Publikum nicht zu langweilen.
Welche Bedeutung hat der Teleprompter heute noch? Leider eine viel zu große! Die einzigen, die wirklich gut damit arbeiten können, sind professionelle Sprecher:innen. Zu glauben, man klinge als Nicht-Profi dank Teleprompter natürlich, ist eine Illusion. Die meisten Reden oder Statements, die vom Teleprompter abgelesen werden, klingen genau so: abgelesen. Meine Empfehlung ist: Frei sprechen, wann immer es möglich ist, gerne mit Unterstützung durch Stichwort-Karten. Selbst wenn dann ein „Äh“ oder ein Versprecher dabei ist, klingt das tausendmal frischer als ein steril abgelesener Text. Es gibt zwar Situationen, bei denen es auf jede Nuance ankommt, wenn etwa juristische Fragen eine Rolle bei der Formulierung spielen. Dann ist es aber auch egal, ob man vom Blatt abliest oder vom Teleprompter.
Lange galt der CEO als das Gesicht des Unternehmens. Warum treten heute zunehmend auch andere Führungsebenen in den Vordergrund?
Die Kanäle sind vielfältiger geworden, und je unterschiedlicher es menschelt, umso mehr Anschlussfähigkeit erzeugt ein Unternehmen. Einer jungen Zielgruppe sagt jemand aus ihrer Peer Group mehr als Leute aus ihrer Elterngeneration. Medien verlangen immer wieder neue Gesichter. Ein Fachpublikum erwartet eine inhaltliche Tiefe, die nur Expert:innen bieten können. Viele Führungskräfte aus der zweiten oder dritten Reihe haben eine große Followerschaft in den sozialen Medien – diese Reichweite sollten Unternehmen nutzen. Und der zunehmende Einsatz von Videos und Podcasts in der internen Kommunikation führt idealerweise dazu, dass die Vielfalt eines Unternehmens sichtbar wird und nicht immer nur das gleiche Personal auftritt.
Medientrainings wirken oft über das eigentliche Training hinaus. Welchen Tipp kannst du geben – etwa, um in Meetings verständlicher, prägnanter und überzeugender zu kommunizieren?
Werdet euch vorher darüber klar, was ihr sagen wollt. Was sollen eure Kolleg:innen heute von euch mitnehmen? Und wenn das Meeting läuft: Bitte gut zuhören und darauf eingehen, statt nur zu senden.



