„Es geht um die Wirtschaft“. Das wusste bereits James Carville, der Wahlstratege, der den Wahlkämpfer Bill Clinton anno 1992 ins Weiße Haus lotste. Auch die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen, die am 1.Dezember ihre Arbeit aufnahm, setzt auf die arg ins Schlingern geratene Wirtschaft. Sie soll wieder zum Laufen gebracht, ja wettbewerbsfähig gemacht werden.
Wettbewerbsfähigkeit
Die Wettbewerbsfähigkeit, der Mario Draghi in seinem Bericht ein miserables Zeugnis ausgestellt hatte, soll „die Arbeit dieser Legislatur bestimmen“. Das gelobte von der Leyen im Europaparlament und kündigte als erste Initiative einen „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ an. Der soll auf drei Säulen basieren: Innovation, Dekarbonisierung und Sicherheit. Von der Leyen hat verstanden, dass die Innovationslücke zu den USA und China geschlossen werden, die Industrie nicht nur umweltfreundlich, sondern auch profitabel sein muss – der „Green Deal“ wird zum „Green“ oder „Clean Industrial Deal“ mutieren. Daneben sollen sicherheitsgefährdende Abhängigkeiten – etwa bei Rohstoffen – reduziert werden.
Bürokratieabbau
Erster Schritt zur Wettbewerbsfähigkeit ist der Bürokratieabbau. Lange vor Amtsantritt hat die Kommissionspräsidentin versprochen, die EU-Berichts- und Informationspflichten für Unternehmen um mindestens 25 Prozent zu senken – für Mittelständler sogar um 35 Prozent. Folgerichtig liegt der Fokus der neuen Mannschaft auf der Vereinfachung von Vorschriften und der Reduzierung von Berichtspflichten. Diese sind zu einem großen Teil das Ergebnis der Nachhaltigkeitsagenda, die von der Leyen während ihrer vorherigen Amtszeit verfolgte. Die Initiative kommt nicht von ungefähr, denn immer mehr Unternehmen leiden unter der Last der Auflagen, sie fahren ihre Investitionen zurück oder stecken derart in Not, dass Insolvenz droht.
Verwirklichen will Behördenchefin die Verschlankung mit einer „Omnibus“-Verordnung, die den Verwaltungsaufwand erheblich verringern würde. Mit ihr könnte man in einem „einzigen Vorschlag“ die Bürokratie aus vielen zuvor vereinbarten Gesetzen streichen.
EU-Lieferkettengesetz (CSDDD)
Zu den von ihr ins Visier genommenen Rechtsvorschriften gehören wichtige Teile der nachhaltigen EU-Finanzpolitik, wie etwa die Taxonomie, die Finanzmittel in grüne Investitionen lenken soll. Auch neue Vorschriften, die Unternehmen dazu verpflichten, Maßnahmen gegen Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu ergreifen. Das betrifft in erster Linie das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD), das Unternehmen verpflichtet, ihre Wertschöpfungsketten zu überprüfen, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt, also Kinderarbeit, Sklaverei, Umweltverschmutzung oder Verlust der biologischen Vielfalt zu vermeiden.
Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR)
Im Visier ist auch die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR), welche die Abholzung von Wäldern vermindern soll. Demnach werden Importe von Kakao, Kaffee, Soja, Holz, Palmöl, Kautschuk und Rinder von Flächen, die nach dem 31. Dezember 2020 gerodet wurden, untersagt. Die Vorschriften sollten ab 30. Dezember 2024 für mittlere und große Betreiber und Händler, ab 30. Juni 2025 für Kleinst- und Kleinunternehmen gelten. Nach dem Protest betroffener Staaten wie Brasilien und Indonesien und der heimischen Wirtschaft sowie der Nicht-Vorlage von Ausführungsbestimmungen der Kommission, hat sich Brüssel gerade darauf geeinigt, die Verordnung erst zum Jahr 2026 in Kraft treten zu lassen.
Selbst die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD), die in Deutschland im Gegensatz zu anderen EU-Staaten noch nicht in nationales Recht umgesetzt ist, steht zur Disposition.
Handelspolitik
Zur Wettbewerbsfähigkeit gehört auch die Handelspolitik, die durch die Unwägbarkeiten beim Abschluss des Mercosur-Freihandelsabkommen und die Zollpolitik von Donald Trump massiv unter Druck steht. Von der Leyen würde gerne noch im Dezember die Verhandlungen mit den fünf Mercosur-Staaten abschließen., doch Frankreich und Polen stellen sich quer. Paris fürchtet die Bauern und auch Warschau will das Abkommen in seiner jetzigen Form nicht akzeptieren.
Die von Donald Trump avisierten Zölle könnten nach seinem Amtsantritt am 20. Januar umgehend umgesetzt werden. Von der Leyen setzt darauf, den US-Präsidenten mit einem Angebot höherer LNG-Einfuhren aus den USA zu locken. Als Verhandlungshebel hat ihre Behörde eine Liste von US-Produkten in der Schublade, die die EU als Vergeltung mit Zöllen belegen könnte.
Verteidigung
Neben der Krisen-Resilienz bzw. der Verteidigungsfähigkeit gibt es beim Thema Verteidigung auch einen Wettbewerbsaspekt: Die Rüstungsbeschaffung. Hier setzt die neue Kommission auf „Buy European“, Beschaffung also auf einem gemeinsamen Markt für Rüstungsgüter. Der wird integrativer Teil der europäischen Verteidigungsunion, ein lange geplantes Projekt, das unter dem Druck des Krieges Fahrt aufnimmt. Wie diese Verteidigungsgemeinschaft genau aussehen soll, will der erste Verteidigungskommissar der EU, der Litauer Andrius Kubilius, in einem Weißbuch innerhalb der ersten 100 Tage dieser Kommission präzisieren.
Große Aufgaben warten auf die neue Führungsriege in Brüssel, gewaltige Herausforderungen, bei der die Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt.